Freitag, 22. Dezember 2017

Der Bodensatz des Lebens


 

Das Laub raschelt unter meinen Füßen.

Eigentlich haben wir ja auch selten so einen richtigen Winter mit Schnee und Frost. Darum raschelt es so. Schade, denn so können  mich die scheuen Waldbewohner immer kommen hören. Getarnt bin ich ja sonst, farblich gesehen.
Einige Meter von mir entfernt sehe ich etwas im Gras liegen. Der Wind steht wohl günstig, so dass es mich noch nicht gewittert hat. Aber ich weiss, dass ich mich nicht daran vorbei stehlen kann. Zu gut sind die Augen und die Ohren des Reh’s, das doch immer auf der Hut ist vor möglichen Feinden – auch gerade jetzt in der Jagdzeit.

Wenn es zum Abend dämmert, sollte ich eigentlich nicht mehr hier sein. Aber dummerweise ist dies genau meine Lieblingszeit… dann, wenn meine Sinne sich langsam scharf stellen müssen und auf ganz andere Art wahrnehmen als im normalen Alltag. Leise Geräusche, Bewegungen im Schatten der Bäume, fernes Hufgetrappel.

 Oder es herrscht einfach nur Stille.

 Stille, die ich in meinem Inneren so lange vermisst habe – hier finde ich sie.
Weit weg vom Alltagstrubel, allein in Wald und Flur.

 Einige Jahre sind vergangen und das, was war, liegt lange hinter mir. Scheinbar. Doch in Wirklichkeit ist es immer noch bei mir. „Man“ sagt, ich müsse  es loslassen. Aber allen guten Zureden zum Trotz will ich es wohl noch nicht. Zu groß ist der Verlust. Zu Schmerzhaft immer noch die Erinnerung. Zu traumatisch das Geschehen. Oder ist es jetzt einfach ein Teil von mir, der gesehen werden will und mir sagt: „Siehe, ich bin das Schicksal und du bist in meinem Spiel gefangen…“ Ob du willst oder nicht.
 
Alles ist anders. Es ist ein bodenloses Dasein.

 War das vorher eigentlich anders? Gab es diesen Urgrund, das Urvertrauen? Ja, ein bedingungsloses Ja. Ich glaube, jeder, der ein Erlebnis hatte, bei dem sein Vertrauen in das Leben bis in die Grundfeste erschüttert wurde, kann das nachvollziehen. Egal, ob das Geschehen körperlicher, psychischer oder materieller Natur war.

Ich denke, gerade heute erfahren wir alle, wie unsicher, wie fragil unser Frieden in der Welt ist. Jeden Tag kann ein Ereignis eintreten, was unser Leben oder das eines geliebten Menschen ruiniert oder zerstört. So, wie es auch mir geschah. Da hilft dann kein wohlgemeintes: „Kopf hoch, das wird schon wieder." Dann stürzt man einfach in den Abgrund und liegt zerschmettert am Boden.

 Ich bin noch „am Ball“, aber anders. Es geht weiter, ja, aber anders. Ich kann auch wieder emotional sein, aber anders. Alles wie auf dünnem Eis, mit angezogener Handbremse.

Aber ehrlich bin ich – sowohl hier als auch zu mir selbst. Doch eine Rolle spiele ich wieder, auch eine andere. Damit die Menschen kein Problem damit haben, dass ich eins habe.

Und wer weiß: Der Bodensatz des Lebens kann ja auch der Humus für neue Pflanzen sein.
Doch meine Poesie vemisse ich sehr - die zarte Pflanze, das Gefühl  der Liebe.

Vielleicht spriesst ja auch dort irgendwann wieder ein zartes Pflänzchen...


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