Montag, 28. Juni 2010

Der Sog des Daseins




Kürzlich las ich über emotionalen Schmerz und dem Versuch, ihm auszuweichen. Desweiteren las ich in einem Buch über eine Diskussion, was das Leiden überhaupt sei.

Einer sagte in diesem Buch: „Leiden ist der Hunger nach dem, was man nicht hat.“
Ein Anderer war der Meinung: „Das „Durchgehen“ durch das Leiden macht einen Menschen erst seelisch stark.“
Ein Dritter: „Leiden ist ein Zeichen von Schwäche“
Und als letztes äußerte ein Teilnehmer die Meinung, dass man „an der Liebe zu Gott“ leide.

Aber: was ist das Leiden wirklich?
Und: können wir es wirklich vermeiden, es umgehen?
Und was macht das Leid mit uns, wenn es „uns heimsucht“?

Ein Thema unserer Weltgeschichte, unserer Evolution. Leid ist schon seit jeher ein ständiger Begleiter in unserem Dasein.

Zur näheren Betrachtung muss ich wieder beim Denken beginnen.
Meine eigene Interpretation eines Ereignisses ist ausschlaggebend dafür, wie ich eine Situation erlebe. Es ist richtig, dass das Denken immer erst „danach“ eintritt, indem ich ein Ereignis im Nachhinein nach meinen Maßstäben betrachte und bewerte. Erst dadurch benenne ich etwas als gut oder schlecht, angenehm oder schmerzhaft. Selbst, wenn ich mich völlig „klar“ und bewusst wähne, kann ein Ereignis mich augenblicklich überrollen und mich in meinen bewertenden Verstand ziehen, mich "unbewusst" machen – so dass ich den Zusammenhang im Großen (meiner Entwicklung und der Menschheit Entwicklung) aus den Augen verliere.

Doch auch wenn ich vom Intellekt her verstanden habe, dass eine Begebenheit ausschließlich aufgrund meiner persönlichen Muster und Programmierungen analysiert und bewertet wird, komme ich aus diesem Automatismus nicht heraus. Sobald das Leben mich herausfordert, stelle ich mich ihm – mit all meinen Instinkten, Reaktionsmustern und Verteidigungsstrategien; mit meinem Überlebenstrieb, meinem Revierverhalten und meinem Hunger nach Leben; mit meinem Glauben, meinem Sehnen und all meinen Wünschen, die ich zu verwirklichen trachte, … so lasse ich mich vom Leben in das Dasein als Mensch hineinziehen. Und als Mensch reagiere ich. Als junger Mensch sehr spontan und vielleicht rebellisch, als Mensch mittleren Alters mit Erfahrung und Weitblick, und als alter Mensch mit weiser Voraussicht.

Mensch sein heißt leiden und Schmerz empfinden, so wie Mensch sein auch genießen und lieben bedeutet.


Je mehr ich sehe, was mir blieb, und wenn ich den Rest von dem, was noch übrig war, (nachdem mir der größte Teil meiner Anhaftungsmöglichkeiten bereits auf anderem Wege „abhanden“ gekommen war), auch noch loslasse, umso besser kann ich erkennen, warum ich „hier“ bin. Und auch, dass ich immer noch an "Dingen" festhalte.

Manche sagen, dass Gott durch uns lebt, doch beim besten Willen finde ich NIEMANDEN, dem ich mich gegenüber stellen könnte, um zu fragen, was er durch mich wirken möchte. Andere sagen, wir haben Aufgaben zu erfüllen; doch stelle ich fest, dass es gleichgültig ist, was ich tue - irgendjemandem gefällt es immer nicht oder erst recht dann. Dritte meinen wiederum, es ist alles Zufall und niemanden schert’s, was hier auf Erden abgeht …

Doch ich meine, all das ist richtig und all das ist falsch. Es sind Meinungen, geboren aus Ansichten, Geschmacksfragen und Glaubensdogmen.

Leid und Schmerz ist nur die Trennung von Gott (was oder wer auch immer das ist…),
also die Trennung von Liebe, von Annahme.
Und sehr wohl tragen wir die Verantwortung für das, was wir tun, als auch dafür, was wir nicht tun und sogar dafür, was wir daraus lernen oder eben nicht. Schmerz ist ein Hinweis darauf, anzuhalten, innezuhalten; was beim körperlichen Schmerz oftmals sehr gut funktioniert. Aber, wenn es um seelische Pein geht… rennen wir munter weiter in die Irre und wundern uns, wenn sich unsere Ignoranz über unser Befinden dann auf andere Weise, vielleicht als Krankheit in unserem Körper festsetzt. Das, was wir nicht sehen wollen, stellt sich uns immer wieder in den Weg, zwingt uns zeitweise in die Knie und blickt uns fest in die Augen und sagt: „Halt ein, dies ist der falsche Weg, die falsche Sicht. Schaue tiefer! Lasse Dich ruhig umherwirbeln vom Sog des Lebens aber siehe dann, was es Dir gebracht hat. Lerne aus Deinen Erfahrungen, sei klug und aufmerksam. Betäube Dich nicht, um gefühllos zu werden. Fühle und spüre, was Es Dir sagen will!“

Entwicklung bedeutet, an uns selbst zu arbeiten, den Schmerz verstehen zu lernen, uns selbst nach Ursachen zu durchforsten und den Dingen auf den Grund zu gehen. Dafür kann man heutzutage auf allerlei Hilfen zurückgreifen. Siehe die zahlreichen Bücher und das Internet.

Was wir daraus machen, ist dann die Quintessenz unseres Lebens, das so einzigartig ist wie unser Fingerabdruck. Doch so sehr wir uns auch immer wieder in den Strudeln unseres Lebens umherwirbeln lassen, und auch mit dem Wissen, dass jedes Ereignis unserer Erkenntnis dient, sollten wir uns doch immer wieder aus diesem Sog zu befreien suchen und in den Tiefen unseres Daseins nach den Antworten auf die großen Fragen des Lebens suchen.

Der Sog unseres Daseins führt uns zuerst in schmerzhafte Tiefen des menschlichen Lebens.
Aber unser Verständnis sorgt dafür, das nachher nur mehr tiefes Schauen bleibt.

1 Kommentar:

  1. Manche sagen, dass Gott durch uns lebt, doch beim besten Willen finde ich NIEMANDEN, dem ich mich gegenüber stellen könnte, um zu fragen, was er durch mich wirken möchte. Andere sagen, wir haben Aufgaben zu erfüllen; doch stelle ich fest, dass es gleichgültig ist, was ich tue - irgendjemandem gefällt es immer nicht oder erst recht dann. Dritte meinen wiederum, es ist alles Zufall und niemanden schert’s, was hier auf Erden abgeht …

    Doch ich meine, all das ist richtig und all das ist falsch. Es sind Meinungen, geboren aus Ansichten, Geschmacksfragen und Glaubensdogmen.


    Herrlich empfunden und völlig wahr. Wir sind Selbstzweck - alles ist nur für sich selbst da. Sind die Stürme der Gedanken vergangen, beginnt ein neuer Zyklus, in dem die alten Welten enthalten oder auch nicht enthalten sein können - wen kümmert's?

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    Mondzyklus

    Ein befreites Bewusstsein ist eines, welches genau in der Mitte zwischen gut und böse, besser und schlechter, kleiner und größer und weniger und mehr in Ruhe verharrt, ohne die Augen zu verschließen. Ein befreites Bewusstsein hat sich in der Mittellinie zwischen den Gegensatzpaaren in die Höhe erhoben und ruht an der Spitze des gleichschenkeligen Dreiecks, an dessen Basis die Gegensätze arbeiten. Ein befreiter Geist betrachtet dieses Leben, welches von allen Seiten durch die natürlichen Gefahren für den Körper und durch Verblendung und Hass des Menschen bedroht ist, wie einen aufgehenden und untergehenden Mondzyklus, in dessen bleichem Licht die Reflexion des universalen Lebens wieder und wieder erstrahlt und verblasst, erstrahlt und verblasst.

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