Dienstag, 17. Mai 2011

Wann?



Dunkelheit herrscht fast total.

Der Weg erscheint mir wie ein endloser Gang, in dem es keine Abzweigung gibt.


Da – ein Schimmer… von einer Lichtquelle? Nein, es wäre zu schön gewesen, aber ich täuschte mich. Es geht weiter im Dunkeln. Ein Weg, der nicht zu enden scheint, ein Schicksal, welches die hintersten und tiefsten Winkel meiner Seele durchforstet und Kälte und Schauer hineinbringt. Ist dies die sogenannte „dunkle Nacht der Seele“?

Aber Moment – dort hinten, kurz vor der nächsten Biegung, die ich in der Finsternis gerade noch erahnen kann – ist dort nicht eine Tür? Als ich näher komme, bestätigt sich meine Annahme, obwohl es mir vor lauter Anstrengung, etwas zu erkennen, vor meinen Augen flimmert. ‚Ja, dort ist wirklich ein Durchgang’, erkenne ich, als ich die Tür vorsichtig abtaste. Ich reisse die Tür auf und springe fast hindurch, vergessend, dass ich nicht weiss, was sich dahinter befindet. Sofort presse ich meine Lider zusammen, weil mein Augen von einer gleißenden Helligkeit geblendet werden. Ich warte einen Moment und blinzle vorsichtig, kann aber noch nichts sehen und lasse die Augen noch einen Moment geschlossen.

'Bin Ich wirklich erlöst? Habe ich es endlich geschafft, dieser schwarzen Hölle zu entkommen?' Mit klopfendem Herzen öffne ich vorsichtig die Augen und erkenne nichts - außer Licht. Vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen, der Boden unter meine Füßen ist glatt und eben und ich gehe langsam weiter. Nun sehe ich, das ich mich in einem weiteren Gang befinde, der nach einiger Zeit wieder eine Biegung macht. Ich bemerke sofort, dass es in der Biegung wieder dunkler wird und meine Euphorie sinkt auf einen Schlag. Das Licht verblasst, der Gang wird schmaler und die Lichtquelle verschwindet hinter mir. Ist es doch vielleicht besser, wieder umzukehren? Nein, sinnlos, der Weg führte nur in eine Richtung.

„Oh mein Gott, lass mich bitte nicht allein! Ich bitte Dich um Hilfe, ich brauche Dich doch!“

Mein Gebet hallt laut von den Wänden zurück. Je mehr die Dunkelheit sich vertieft umso langsamer gehe ich weiter. Ich kann die Tränen der Hilflosigkeit und Verzweiflung nun nicht mehr unterdrücken. 'Gibt es denn kein Ende, keinen Ausweg aus dieser Qual?' Nein – ich gehe nicht zurück, um nichts in der Welt kehre ich um, es muss irgendwo weitergehen, irgendwo muss doch Licht am Horizont auftauchen, ein Schimmer von Hoffnung….



Langsam sacke ich an der Wand in die Knie, meine Kraft will mich vollends verlassen, mir zittern die Beine und ich gebe nach, rutsche auf den Boden.

Ein lauter Schluchzer entfährt mir ungewollt – 'eigentlich bin ich doch gar nicht so ängstlich und schwach', denke ich …


Ich erinnere mich an die wunderbaren Spaziergänge draußen an der frischen Luft, die ich entlang dem Ufer des Flusses unternahm, die wunderbaren Nebelschwaden über dem Wasser. Rote Sonnenuntergänge, laue Lüfte mit fast greifbarer Stille…

– hier höre ich nur meinen Atem, röchelnd, gehetzt, panisch - und mein Herz hämmert schmerzhaft gegen meine Rippen. ‚Wo ist meine heile Welt geblieben, wo der blaue Himmel und die Farben der Natur? Wieso finde ich hier keinen Weg nach draußen, bin ich in einem Alptraum gefangen?’

Mein letzten Kräfte nehme ich zusammen und rappele mich mühsam auf. Ich fühle mich alt und völlig zerschlagen. Meine Brust und mein Kopf tun weh, meine Augen brennen, und auch die Düsternis bleibt, egal, wie heftig ich blinzle.


„ Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“


Nun verstehe ich die Worte Jesu am Kreuz wirklich, oder besser gesagt: ich kann sie fühlen…

Ich stolpere weiter über den finsteren Weg und zu allem Übel kommen mir nun auch noch die Bilder all der Verstorbenen, die ich liebte, in den Sinn, und all derer, die mich verließen, oder die, die ich verließ. Ich sehe die Gesichter meiner Brüder, meiner Schwester, meiner Tante und meiner Mutter –
'oh mein Gott, wie sehr liebe ich Euch, wie gern wäre ich bei Euch’
– und der Schmerz will mir schier meine Brust zerreißen. Erneut quellen Tränen hervor – 'Nein, ich will nicht mehr weinen', und schon entrinnt der nächste Schluchzer meiner Brust. ‚Wie schrecklich ist all dies, wozu ist das noch gut? Ich sehe keinen Sinn mehr in meinem Dasein’…

„Lieber Gott, lass mich nach Hause kommen, ich will nur noch nach Hause! Bitte erlöse mich, hilf mir, errette mich und lass mich von hier fort – ich erbitte Gnade von Dir, dass Du meiner Qual ein Ende bereitest. Ich habe genug, ich habe verstanden, ich habe geweint, gelitten und vergeben, nun vergib bitte DU mir.“


Meine Worte hallen laut von den Wänden wider und treffen auf meine Ohren, so dass ich mich doppelt hören kann. Was für ein Irrsinn!
'Warum bin ich hier gefangen? Warum hört mich denn keiner? Ich will hier heraus!'


Ich schreie laut um Hilfe,

…und wache auf.




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Wann,
sage mir,
sind wir wirklich wach?


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